Felix von der Osten

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»Um jedes Leben« Coronakriese Der Spiegel Nr. 15 4.4.2020

Bei schweren Atemproblemen werden die Patienten regelmäßig umgedreht und auf den Bauch gelegt, weil das die Lunge entlastet und Druck abbaut. Mein Eindruck in der Klinik Aachen: Covid-19 ist in Deutschland nun richtig angekommen, wir sind noch einen Schritt tiefer in die Krise geraten. Die Ärzte bereiten sich auf schlimmere Zeiten vor, auch um schließlich das gesamte medizinische Personal zu entlasten. Es scheint mir noch mehr als zuvor eine ernste Sache, und die ist noch lange nicht vorbei.

Last week I visited the RWTH Universitätsklinik in Aachen for Der Spiegel to document how they are preparing for the worst and are working on a day to day basis. Quotes are taken from my Foto-Essay Interview that is also linked here. I describe my impressions of this short but moving visit to the University Hospital RWTH Aachen.

Das Klinikum befindet sich in einem beeindruckenden Gebäude, es ist eines der flächenmäßig größten Krankenhausgebäude Europas. Silberne Wände im Treppenhaus und rote Metallrohre erinnern mich ein wenig an das Centre Pompidou in Paris. Durch einen Schlauchgang gelangt man in diesen Eingangsbereich mit grün-gelben Bodenbelägen, der Geschenkladen links ist geschlossen. Generell gilt hier momentan Besuchsverbot. Als ich hineinkomme, werde ich deshalb gefragt, was ich möchte. Von nun an weicht mir eine Begleitperson nicht mehr von der Seite.

Während des Interviews sitzen wir eineinhalb Meter auseinander: Der Klinikdirektor Michael Dreher trägt während des Gesprächs die meiste Zeit eine einfache Maske, wirkt dennoch sehr offen auf mich. Dreher betont, dass Covid-19 nicht ausschließlich eine Krankheit der alten Leute sei. Und dass sein Klinikum natürlich nicht nur Covid-19-Patienten versorge. Von zwölf Patienten auf der Intensivstation IM 18 sind bei unserem Besuch bis auf einen alle Covid-19-Patienten.

Die Bereiche des Krankenhauses sind in einem Gebäude untergebracht: Büros, Labore, Vorlesungsräume für die Studenten und auch die Intensivstation "IM 18", auf die ich mich begebe. Im Gegensatz zum 20 Fahrtminuten entfernten Klinikum Eschweiler, das ich vor zwei Wochen besucht habe, ist die Lage hier deutlich angespannter. Die Tischchen mit Desinfektionsmitteln und Schutzkleidung stehen vor jedem Zimmer. Während meines einstündigen Aufenthalts trifft eine Lieferung mit neuen Masken ein. Glücklicherweise, denn Pfleger und Ärztinnen müssen jedes Mal ihre komplette Schutzkleidung - also Haube, Overall und Handschuhe – wegschmeißen, wenn sie aus einem Krankenzimmer kommen; die Masken müssen sie wegen des Mangels wiederverwenden.

Plötzlich wird es hektisch. Zwei Rettungssanitäter treffen mit einer neuen Patientin ein, sofort ziehen sich vier Leute gleichzeitig um, sind zur Stelle und kümmern sich um sie. Links hinter dem kleinen Wägelchen steht ein Bett bereit. Ich will auf gar keinen Fall im Weg stehen, gleichzeitig diesen Moment festhalten. Auch in anderen Momenten muss ich immer wieder klarstellen, dass ich niemanden aufhalten will und niemand meinetwegen auf den Gängen warten soll.

Auf ein Kommando hin heben sechs Personen die Patientin von der Trage auf das Bett. Direkt danach werden ihr die mobilen Geräte abgenommen und die stationären Apparaturen angeschlossen; die Versorgungsbeatmung läuft. Da die Mediziner das Zimmer in diesem Moment nicht verlassen dürfen, rufen sie Informationen zur Patientin aus dem Zimmer heraus, und ein Pfleger vor der Tür notiert sie. Die Patienten liegen hier in Doppelzimmern, im Vordergrund ein älterer Mann. Er trägt Fausthandschuhe, damit er sich nicht selbst gefährdet, wenn er kurzzeitig aus dem künstlichen Dämmerschlaf erwacht, indem er etwa die Beatmungsschläuche herausreißt.

Nur gut eine Stunde dauerte mein Besuch im Uniklinikum RWTH Aachen zusammen mit SPIEGEL-Redakteur Johann Grolle, der darüber einen Artikel verfasst hat. Dieser Moment hat mich dort am meisten bewegt: Ein Covid-19-Patient wird aus dem Intensiv-Transporter geschoben, bereits an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Die Rettungssanitäter tragen die volle Montur, mir ist ein wenig mulmig zumute. Ich stehe relativ weit entfernt, aber soll ich das wirklich fotografieren? Ist das moralisch in Ordnung?

Univ.-Prof. Dr. med. Michael Dreher

Der Spiegel Nr. 15 4.4.2020 Das Pleitevirus